Stress im Arbeitsalltag reduzieren

Stress im Arbeitsalltag reduzieren

Wie du zwischen Erwartungen und To-do-Listen deinen Spielraum findest

Ich weiß nicht, wie oft ich diesen Satz schon gehört habe: „Ach, du warst Kindergartenleiterin? Das ist sicher schön, den ganzen Tag mit Kindern!“

Und ja – es war schön.

Und es war auch laut, turbulent und herausfordernd.

Ich erinnere mich nicht an den einen Vormittag im Kindergarten, ich erinnere mich an viele. Und sie waren alle irgendwie unterschiedlich, und doch auch irgendwie gleich in ihrer – sagen wir mal liebevoll – Intensität:

Draußen im Garten lachten Kinder und schütteten sich den Spielsand – Gott sei Dank – meist nur über die Schuhe und seltener über den Kopf, während drinnen eine Kollegin verzweifelt ein Pflaster suchte (oder etwas völlig anderes – gesucht wurde eigentlich immer irgendwas 😅). Ein Großvater holte gleichzeitig sein Enkelkind ab und konnte partout die Jacke des Enkerls nicht finden, während das Telefon gefühlt (oder tatsächlich?) pausenlos klingelte, und mein morgendlicher Kaffee schon völlig erkaltet war (aber hey – kalter Kaffee macht ja bekanntlich schön 😉).

Ich lächle, wenn ich das schreibe, und erinnere mich gerne an diese Zeit zurück. Nicht nur, weil sie voller Leben war, sondern auch, weil ich (jungen) Menschen metaphorisch beim Wachsen helfen durfte.

Und gleichzeitig denke ich heute: Verrückt, wie selbstverständlich ich den Dauerstress damals hingenommen habe!

Zwischen verstreuten Legoteilen (ein Traum, wenn man drauftritt 😉), Elterngesprächen, Dienstplänen, die ich schrieb, um sie dann wieder zu verwerfen, weil sich etwas geändert hatte, und vielem, vielem mehr, stellte ich mir regelmäßig eine Frage:

„War ich eigentlich schon auf der Toilette – oder muss ich das noch auf meine To-do-Liste schreiben, damit ich’s auch wirklich mache?“

Vielleicht kennst du das ja auch aus deinem eigenen Alltag – Stress gibt es ja schließlich nicht nur im Kindergarten:

Vielleicht arbeitest du ja in der Pflege, wo du für alle da bist – nur viel zu selten für dich. Oder im Büro, wo To-do-Listen und Meetingeinladungen schneller wachsen als die Zeit dazwischen. Oder im Einzelhandel, wo du zeitgleich Waren einschlichtest, Fragen beantwortest und die Kassa im Blick behältst.

Oder du arbeitest mit Menschen – in der Schule, in der Beratung, im Sozialen, in Hotellerie & Gastgewerbe oder am Bau – und weißt: Das Anstrengende liegt oft nicht in den Aufgaben selbst, sondern darin, alles gleichzeitig zu jonglieren.

Und selbst, wenn du derzeit zuhause bist – als Elternteil oder auf Arbeitssuche – wenn alle denken, du hast ja eh immer Zeit und du dich vor lauter Telefonaten, spontanen Hilferufen von Freunden und Verwandten, den Kindern, dem Haushalt, der Wäsche, den Job-Inseraten, Bewerbungsschreiben und den immer wieder belastenden Ablehnungen kaum mehr zurechtfindest – kann es sein, dass du unter ernstzunehmenden Stressbeschwerden leidest.

Ich habe vor einiger Zeit schon darüber geschrieben – über jene Tage, an denen man merkt, dass Selbstfürsorge kein Luxus ist, sondern Voraussetzung für ein funktionierendes Leben. Und genau daran dachte ich wieder, als ich mich rund um den National Stress Awareness Day (6. November) mit Stressbewusstsein beschäftigt habe.

Stressbewusstein: Wie entsteht der Druck im (Arbeits-)alltag?

Anlässlich dieses Tages wird mir jedes Jahr bewusst, wie leicht ich übersehe, dass Stress nicht nur durch Arbeit entsteht, sondern durch das, wie ich mit dem umgehen, was mir begegnet.

Perfektionismus und hohe Ansprüche: Die stressverstärkenden Muster

Damals im Kindergarten hatte ich vermutlich eine viel zu lange To-do-Liste. Die meisten Aufgaben waren natürlich alle gleichzeitig hoch priorisiert – und ich hatte den Anspruch an mich selbst, sie nicht nur gut, sondern natürlich perfekt zu erledigen. (Hallo an meine kleine innere Perfektionistin 👋🏻.)

Ich war für mein Team da, für die uns anvertrauten Kinder, für die Eltern, für die Verwaltung, für Lieferanten, die Geschäftsstelle, die Hygienekontrollen – und, wenn der Geschirrspüler streikte, machte ich mit zwei linken Händen auch noch (meist eher erfolglos) den technischen Support, bevor ich dann doch den Techniker rufen musste.

Ich liebte diesen Job.

Ich hatte allerdings nicht gelernt, mich in den vorgegebenen Rahmenbedingungen zu bewegen, ohne mich selbst darin zu verlieren.

Heute sehe ich es differenzierter: Ja, Rahmenbedingungen können belasten. Und Stress wird verstärkt, wenn wir übersehen, wo unser Einfluss beginnt und wo er endet.

4-facher-Ordnungsrahmen bestehend aus Unverhandelbarer Rahmen, Institutioneller Rahmen, Führungsrahmen, Team-Regeln
Vor einigen Jahren lernte ich durch Veronika und Ralph den vierfachen (damals noch 3-fachen) Ordnungsrahmen (nach R. Sprenger) kennen – und der hat für mich einiges verändert: Er zeigt, dass es nicht darum geht, ständig alles neu zu regeln, sondern zu wissen, wo Ordnung Halt gibt und wo sie Bewegung erlaubt. Denn dort, wo der äußere Rahmen klar ist, entsteht innen Freiheit. Und genau da beginnt Gestaltung. Wenn ich heute mit Teams arbeite, erzähle ich oft davon.

Gestaltungsspielraum finden: Mit klaren Rahmen den Stress reduzieren

Jede Organisation, jedes Team, jeder Mensch arbeitet innerhalb von Grenzen, dem (selbst- oder fremd-) gesteckten Rahmen.

Einige sind von außen vorgegeben, wie Gesetze, Budgets oder Strukturen.

Andere sind mitgestaltbar, wie die Art der Kommunikation, viele Abläufe, die eigene innere Haltung.

Die Kunst ist, zu erkennen, dass – obwohl man so einige Gegebenheiten hinnehmen muss – der Umgang damit fast immer einen recht ordentlichen Gestaltungsspielraum ermöglicht.

Konkrete Übung: So verwandelst du Stress-Probleme in machbare Ziele

Eine Übung, die ich dazu lieben gelernt habe, stammt von Willi Geisbauer:

„Probleme sind verkleidete Ziele.“

In unseren Trainings machen wir die so:

  1. Schreib ein aktuelles Problem auf.
  2. Frag dich: „Was wäre da, wenn das Problem weg wäre?“
  3. Formuliere diesen Zustand als Ziel – positiv, konkret, als IST-Zustand.
  4. Und ja – manchmal entstehen mehrere Ziele. Und auch das ist erlaubt.

Beispiele:

  • Aus „Wir reden im Team ständig aneinander vorbei“ wird: „Wir wollen wirklich verstehen, worum es den anderen geht und fragen nach, bis es jede Person verstanden hat.“
  • Aus „Ich habe keine Zeit für mich“ wird: „An meinen Arbeitstagen sind Pausen selbstverständlich eingeplant.“
  • Aus „Ich kann nicht alles schaffen“ wird: „Ich wähle bewusst, was heute wichtig ist – und was warten darf.“

Und dann kommt der entscheidende Schritt:

Formuliere einen ersten, kleinen, machbaren Schritt, z.B.: „Ich plane jetzt für jeden Tag eine 10-Minuten-Pause und trage sie in meinem Kalender als Blocker ein.“ Der Plan muss nicht perfekt sein – nur ein erster nächster Schritt. Denn sobald wir vom Denken ins Tun kommen, verändert sich etwas. Nicht die Umstände, aber unser Erleben davon.

Und genau das ist Selbstwirksamkeit.

Hier passt auch wunderbar die Lehre unseres November-Geburtstagskindes ins Bild, der diese Idee schon vor Jahrzehnten prägnant formuliert hat.

Mit Heinz von Foerster die Wahlmöglichkeiten im Alltag erweitern

Am 13. November hat Heinz von Foerster Geburtstag. Als ich seinen Satz zum ersten Mal las –

„Handle stets so, dass die Anzahl deiner Wahlmöglichkeiten größer wird.“

– war ich ehrlich gesagt irritiert. Wie soll das gehen, wenn so viel vorgegeben ist?

Heute verstehe ich ihn anders. Er meint nicht, den Rahmen zu sprengen – sondern ihn bewusst zu nutzen.

Selbstführung: Kleine Schritte für mehr Freiheit und Selbstwirksamkeit

  • Ich kann den Alltag nicht anhalten, aber ich kann mir kleine Freiräume schaffen. Im Kindergarten helfen vielleicht drei ruhige Atemzüge zwischen Tür und Angel, ein Schluck Tee aus meiner Tasse, bevor ich mich in die nächste Situation begebe, oder eine Übergabeminute, um bewusst abzuschalten.
  • Ich kann nicht alle Umstände ändern, aber ich kann meine Perspektive wählen: Was funktioniert schon? Wovon mehr? Was ist mein nächster Schritt?
  • Ich kann Stress nicht vermeiden, aber ich kann ihn als Signal lesen: Hier braucht etwas Aufmerksamkeit – ein Ziel, eine Grenze, eine Entscheidung.

Das ist für mich (Selbst-)Führung:

Gestaltungsspielräume schaffen – für mich, für andere, fürs System.

Und dazu passt wiederum wunderbar einer der wichtigsten Tage im Jahr für mich, der auch heute ansteht:

Der 20. November: Der Tag der pädagogischen Fachkräfte

An diesem Tag würdigen wir jene Menschen, die Tag für Tag Räume schaffen, in denen andere wachsen können – und diese Würdigung steht stellvertretend für viele Berufe, in denen Beziehungsarbeit Alltag ist.

Danke – an euch alle, die ihr solche Räume möglich macht!

Ich denke dabei an Pädagog:innen, Assistent:innen, Leiter:innen, Lehrer:innen, Direktor:innen – und genauso an Menschen in Pflege, Bildung, Handwerk, Beratung, Verwaltung, Führung, Handel, Hotellerie & Gastgewerbe und überall dort, wo mit Herz, Verstand und Verantwortung gearbeitet wird.

Ich denke an Menschen, die Systeme tragen, gestalten und beleben. An jene, die andere sehen.

Ich denke mit einem dankbaren und liebevollen Lächeln an mein damaliges Team zurück – an kleine Gesten, die große Wirkung hatten: Ein Lächeln. Ein Blick.

Ein ehrliches „Wie geht’s dir?“

Es waren keine perfekten Tage. Aber sie waren bedeutsam. Und vielleicht ist das das Entscheidende, dass wir einander wahrnehmen – auch im Trubel.

Fazit: Bewusste Gestaltung statt passivem Erleiden

Vielleicht verbindet all diese November-Themen:

  • Bewusstsein für das, was ist.
  • Spielräume erkennen und nutzen.
  • Verantwortung miteinander teilen.
  • Dankbarkeit leben.

Leichtigkeit entsteht selten durch das Wegfallen von Aufgaben, sondern durch die bewusste Gestaltung dessen, was ohnehin da ist.

Oder, wie Heinz von Foerster es ausdrückt,

„Wirklichkeit entsteht durch Beteiligung.“

Wir können jeden Tag neu entscheiden, wie wir unsere Arbeitswelt mitgestalten wollen. Lass uns das heute mit vollem Bewusstsein tun.